„Ihr Schmerz kommt nicht von einem Schaden, sondern von einem fehlgeleiteten Alarmsystem.“
Für Menschen mit chronischen, noziplastischen Schmerzen kann dieser Satz mehr sein als eine Information. Oft ist er der Beginn einer Veränderung.
Reattribution: Schmerzen neu bewerten und verstehen
Reattribution bedeutet, dem Schmerz eine neue, stimmige und sichere Erklärung zu geben.
Statt „Mein Rücken ist kaputt“ lautet die Botschaft: „Mein Nervensystem ist überempfindlich geworden und das ist veränderbar.“
Diese Umdeutung ist nicht nur psychologisch entlastend, sondern auch neurobiologisch wirksam. Schon in anderen Artikeln haben wir gezeigt, warum Schmerz auch ohne Gewebeschaden entstehen kann und welche Mechanismen dahinter stecken (Blog Noziplastischer Schmerz).
Schmerzverarbeitung im Gehirn – was Studien zeigen
Studien mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) belegen:
Wenn Schmerz nicht mehr als Zeichen einer Gewebeschädigung interpretiert wird, verändert sich die Aktivität in zentralen Hirnregionen:
- Ventromedialer präfrontaler Cortex (vmPFC) – wichtig für Neubewertung und Sicherheitssignale – wird aktiver.
- Posteriore Insula und andere schmerzverarbeitende Regionen – verantwortlich für die sensorisch-emotionale Schmerzverarbeitung – werden weniger aktiv.
Das bedeutet: Allein die neue Bedeutung vom Schmerz verändert die Schmerzverarbeitung im Gehirn.
Hoffnung in der Schmerztherapie – neurobiologische Wirkung
Hoffnung ist kein „weiches“ Gefühl, sondern ein messbarer neurobiologischer Prozess. Forschung zur Erwartungsmodulation und Placeboanalgesie zeigt:
- Positive Erwartungen aktivieren präfrontale Netzwerke, die schmerzverarbeitende Areale hemmen können.
- Die subjektive Schmerzwahrnehmung sinkt – nicht durch Einbildung, sondern durch nachweisbare Veränderungen in Schmerznetzwerken.
- Studien belegen: Hoffnung ist ein Prädiktor für weniger Schmerzbelastung und psychische Symptome bei chronischen muskuloskelettalen Schmerzen.
Doch Hoffnung wirkt nicht nur dämpfend – sie motiviert und macht handlungsfähig. Positive Erwartungen sind eine Voraussetzung für die Veränderbarkeit des Gehirns. Wer fest davon ausgeht, nie wieder gesund zu werden, dessen Gehirn wird unbewusst immer wieder nach Bestätigungen dieser Erwartung suchen. Glücklicherweise funktioniert das auch in die andere Richtung: Mit Übung können neue, positive Erwartungen entstehen – und das Gehirn beginnt, Beweise für Genesung und Veränderung zu sammeln.
Die Psychologin Ellen Langer konnte in ihren Studien zeigen, dass allein die Veränderung von Erwartungen physiologische Prozesse beeinflusst. So verbesserte etwa ein „Mindset-Intervention“-Experiment bei Hotelangestellten Gesundheit und Fitnesswerte, obwohl sich an deren Arbeitsalltag objektiv nichts änderte (Langer et al., 2007). Die Interpretation der eigenen Situation hatte messbare biologische Effekte – ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie stark Erwartungen Körper und Gehirn prägen.
Die Bedeutung, die wir einem Symptom geben, beeinflusst, wie der Körper darauf reagiert.
PRT, EAET und die gezielte Kraft der Aufklärung
Moderne Therapieformen wie Pain Reprocessing Therapy (PRT) und Emotional Awareness and Expression Therapy (EAET) setzen genau hier an:
- Durch fundierte Schmerzedukation wird Schmerz als Ausdruck eines veränderbaren Nervensystems verstanden.
- Angst- und Bedrohungsbewertungen werden aktiv reduziert.
- Sicherheit und Handlungsfähigkeit rücken in den Vordergrund.
Mehr zu EAET findest Du im Artikel Emotional Awareness and Expression Therapy – wie Emotionen bei chronischen Schmerzen helfen.
Und zur wissenschaftlichen Evidenz von PRT in Was sagt die Forschung zur Pain Reprocessing Therapy?
Wie HELP Reattribution nutzt
In HELP ist Aufklärung und Reattribution kein einmaliges Modul, sondern zieht sich durch alle Inhalte:
- Multimediale Erklärungen machen komplexe Neurobiologie anschaulich.
- Übungen und die Beweisliste helfen, persönliche Erfahrungen mit der neuen Erklärung zu verknüpfen.
- Wiederholte Anwendung festigt die neue Bedeutung im Alltag – und damit die neuronale „Sicherheitsspur“.
So kann allein die veränderte Interpretation vom Schmerz, unterstützt durch Übung und Erfahrung, zu messbaren Veränderungen in der Hirnaktivität und im Schmerzerleben führen.
Literatur
- Ashar, Y.K., et al. (2022). Effect of Pain Reprocessing Therapy vs Placebo and Usual Care for Patients With Chronic Back Pain: A Randomized Clinical Trial. JAMA Psychiatry, 79(1), 13–23.
- Ashar, Y.K., et al. (2023). Reattribution to Mind-Brain Processes and Recovery From Chronic Back Pain. JAMA Network Open, 6(9), e2333846.
- Or, D.Y.L., Lam, C.S., Chen, P.P., et al. (2021). Hope in the context of chronic musculoskeletal pain: relationships of hope to pain and psychological distress. Pain Rep, 6(4), e965.
- Benedetti, F. (2014). Placebo Effects: Understanding the mechanisms in health and disease. Oxford University Press.
- Wager, T.D., et al. (2004). Placebo-induced changes in fMRI in the anticipation and experience of pain. Science, 303(5661), 1162–1167.
- Crum AJ, Langer EJ. Mind-set matters: exercise and the placebo effect. Psychol Sci. 2007;18(2):165-171. doi:10.1111/j.1467-9280.2007.01867.x

Dr. Antje Kallweit
– Gründerin und CEO von HELP, Fachärztin für Anästhesiologie, Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie
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