Viele Menschen mit chronischen Schmerzen hören irgendwann den Satz: „Ihre Nerven sind überempfindlich geworden.“ Das hört sich falsch an und klingt so, als wäre der Schmerz weniger echt. Doch das Gegenteil ist der Fall: Zentrale Sensitivierung beschreibt einen gut erforschten Mechanismus, bei dem das Nervensystem dauerhaft auf „Alarm“ geschaltet ist und dadurch selbst ungefährliche Reize als schmerzhaft empfunden werden können.
Was bedeutet zentrale Sensitivierung?
Zentrale Sensitivierung beschreibt eine gesteigerte Reizantwort im zentralen Nervensystem (Rückenmark und Gehirn).
Das heißt:
- Reize, die normalerweise harmlos sind, werden als schmerzhaft empfunden (Allodynie).
- Schmerzreize werden stärker wahrgenommen als üblich (Hyperalgesie).
- Schmerzen breiten sich über das ursprüngliche Gebiet hinaus aus (diffuse Schmerzverteilung).
- Bestimmte Auslöser wie Kälte, Lärm oder Stress verstärken den Schmerz übermäßig (Triggerempfindlichkeit).
Das Nervensystem hat seinen „Lautstärkeregler“ zu hoch eingestellt und reagiert überempfindlich.
Wo tritt zentrale Sensitivierung auf?
Sie spielt eine wichtige Rolle bei vielen primären Schmerz-Erkrankungen mit noziplastischem Schmerzmechanismus:
- Fibromyalgie
- CRPS
- Chronische Bauch- und Beckenschmerzen
- Spannungskopfschmerzen und Migräne
- Kiefergelenksschmerzen (TMD)
- Chronische Rücken- oder Nackenschmerzen ohne klare Gewebeschädigung
- uvm.
Mehr zur Unterscheidung der Schmerztypen erfährst Du im Beitrag „Was ist noziplastischer Schmerz?“.
Wie wird zentrale Sensitivierung gemessen?
In der Forschung und Praxis gibt es verschiedene Instrumente:
- Central Sensitization Inventory (CSI): standardisierter Fragebogen, der typische Symptome und Begleitfaktoren erfasst.
- Quantitative sensorische Tests (QST): Messung der Schmerzschwellen für verschiedene Reize (z. B. Druck, Temperatur).
Warum ist das therapeutisch wichtig?
Zentrale Sensitivierung bedeutet nicht, dass Schmerz „psychisch“ ist.
Es handelt sich um einen veränderten Funktionszustand des Nervensystems – und er ist beeinflussbar.
Wirksam sind vor allem:
- Edukation: Verstehen, dass Schmerz nicht automatisch Gewebeschaden bedeutet.
- Dekonditionierung: Lösen von gelernten Schmerzassoziationen.
- Reattribution: Neue, sichere Bedeutungen für Körpersignale finden
- Gezielte Exposition: Schrittweise Rückkehr zu zuvor vermiedenen Aktivitäten.
HELP setzt genau hier an: Mit Schmerzedukation, Übungen und begleitenden Tools lernst Du, das Alarmsystem neu einzustellen.
Fazit
Zentrale Sensitivierung ist einer der Hauptmechanismen chronischer Schmerzen.
Wer versteht, dass das Nervensystem überempfindlich geworden ist, kann aktiv daran arbeiten, den „Lautstärkeregler“ herunterzudrehen – und Schritt für Schritt Sicherheit zurückzugewinnen.
Literatur
- Nijs, J., Malfliet, A., Nishigami, T. (2023). Nociplastic pain and central sensitization in patients with chronic pain conditions: a terminology update for clinicians. Braz J Phys Ther, 27(3), 100518.
- Volcheck, M.M., et al. (2023). Central sensitization, chronic pain, and other symptoms: Better understanding, better management. Cleve Clin J Med, 90(4), 245–254.
- Mayer, T.G., et al. (2012). The development and psychometric validation of the Central Sensitization Inventory.Pain Practice, 12(4), 276–285.
- Woolf, C.J. (2011). Central sensitization: Implications for the diagnosis and treatment of pain. Pain, 152(3 Suppl), S2–S15.
- Nijs, J., et al. (2021). Applying modern pain neuroscience in clinical practice: criteria for the classification of central sensitization pain. Pain Physician, 24(5), 345–358.

Dr. Antje Kallweit
– Gründerin und CEO von HELP, Fachärztin für Anästhesiologie, Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie
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